Saubere Technik ist eine wichtige Voraussetzung für langfristigen Trainingserfolg. Wer es damit nicht so genau nimmt, bekommt früher oder später Probleme – wobei die, bei denen die Probleme später einsetzen in der Regel schlimmer dran sind. Ermüdungsverletzungen, bei denen aus völlig heiterem Himmel eine teils schwere Verletzung auftaucht, diffuse Probleme, deren Ursache sich nur extrem schwer finden und beheben lassen, sind nur zwei der möglichen Komplikationen, die bei andauerndem Training mit mangelhafter Technik auftreten können. Ich selbst hatte über lange Zeit so ein Problem beim Swing, das nur selten auftrat und zum Glück nie größeren Schaden angerichtet hat – ich habe buchstäblich Jahre gebraucht um es zu finden. Wäre es schon am Anfang meiner Kettlebell Karriere aufgetaucht, wäre ich heute sicherlich wesentlich weiter als ich es jetzt bin.
Optimal ist es, wenn der Übende und der Analysierende zwei verschiedene Personen sind. Erstens ist man bei sich selbst selten 100% objektiv, zweitens lässt sich eine dynamische Bewegung wie der Swing nicht gleichzeitig auführen und analysieren. Die Swings vor dem Spiegel zu machen ist also keine besonders gute Idee. Aus diesem Grund gibt bei bei der RKC auch eine Pflicht zur regelmäßigen Rezertifizierung – auch Trainer sind nur Menschen.
Wer keinen Coach zur Verfügung hat der, der kann auf eine Video Analyse zurück greifen. Ein nützliches Werkzeug zur Selbstanalyse ist Coach’s Eye eine App für Apple und Android die es möglich macht Videos zu verlangsamen, zu vergleichen und einiges mehr (allerdings sind nur die Basis Funktionen kostenlos, aber die genügen eigentlich).
Wie erkenne ich einen guten Swing?
Als Kettlebell Trainer beobachte ich ständig Leute der verschiedensten Fertigkeits-Level beim Swing. In diesem Artikel will ich den Versuch machen, die Analyse, die bei solchen Gelegenheiten in meinem Kopf stattfindet aufzuschreiben um Euch, meinen treuen Lesern, zu ermöglichen Eure eigene oder die Technik Eurer Kunden besser einschätzen zu können.
Bitte habt ein bisschen Geduld mit mir, weil die oft subtilen Nuancen eines Körpers in Bewegung schwer in Worte zu fassen sind – und mit Euch selbst, weil es schon etwas Übung braucht aus den vielen kleinen Hinweisen einen korrekten Rückschluss auf ein mögliches Problem abzuleiten.
Wichtig ist sich bewusst zu sein, dass ein Fehler noch nichts aussagt. Wir machen alle Fehler, und das ständig. Das ist solange kein Problem, wie wir nicht mit zu schweren Hanteln trainieren und der Fehler nicht systematisch ist. Wenn Euch etwas auffällt, dann schaut lieber noch ein zweites mal hin, bevor ihr anfangt ein Problem zu beheben, das es gar nicht gibt.
Wie sieht das Setup aus?
Da es sich beim Kettlebell Swing um eine ballistische Bewegung handelt, kann man schon viel aus der Art und weise wie jemand an die Kettlebell herangeht sehen. Wenn ich jemandes Swing analysiere, den ich vorher noch nie bei der Kettlebell-Arbeit gesehen habe, dann versuche ich denjenigen in vorhinein möglichst wenig zu beeinflussen. Ich zeige also nicht vorher den Swing, sondern stelle mich mit ein bisschen Abstand hin und meine lapidar: „Zeig mir mal Deinen Swing.“.
Ich beobachte, ob derjenige eine saubere Ausgangsposition einnimmt, ob Spannung aufgebaut wird und wohin der Übende schaut. Daraus lässt sich meist schon einiges ablesen.
Der erste Swing
Ich bitte meinen Probanden einen kurzen Satz Swings zu machen. 5 Wiederholungen sind in der Regel genug für eine erste Einschätzung. Bei längeren Sätzen degeneriert häufig die Technik gegen Ende und ist nicht mehr aussagekräftig. Lieber schaue ich mir nach einer kurzen Pause noch einen Satz an.
Der erste Swing eines Satzes ist immer interessant – startet er sofort mit Power oder braucht es erst ein paar Wiederholungen um in Fahrt zu kommen. Ersteres ist ein gutes Zeichen, während letzteres dafür spricht, dass am Anfang mit zu wenig Anspannung gearbeitet wird.
Ein Blick von der Ferne
Für den ersten Eindruck achte ich darauf, nicht zu nah an meinem Schützling zu stehen. Ich versuche die ganze Person im Blick zu haben und nicht von Anfang an auf Details zu fokussieren. Ich lasse die Bewegung erst ein mal für ein paar Reps wirken.
- Sieht der Swing kraftvoll und explosiv aus?
- Ist es eine harmonische Bewegung?
- Darf die Kettlebell ausschwingen?
- Entsteht eine sichtbare Pause am höchsten Punkt?
- Sieht die Bewegung symmetrisch aus?
- Fühlt sich der Swing für den Ausführenden gut an?
Wenn eine dieser Fragen mit Nein beantwortet werden muss, dann wird eine Detailanalyse fällig.
Die Detailanalyse
Ich habe hier keine feste Reihenfolge, sondern versuche, wie im vorigen Schritt, einfach mal einen oder zwei Reps zuzuschauen, um zu erkennen, ob mich irgendetwas stört. Daraus ergibt sich in der Regel schon der Problembereich, den ich zuerst unter die Lupe nehme.
Rücken und Kopfhaltung
Wenn man Eisenkugeln herumschwingt, ist die Wirbelsäule natürlich der Bereich, der die größte Aufmerksamkeit bekommen sollte. Beobachte den Übenden für einige Wiederholungen von der Seite (wichtig vor allem das Aufnehmen und Absetzten der Kettlebell). Achtung – keine zu langen Sätze, lieber mehr davon.
Für die Analyse stehtst Du am besten mit kurzem Abstand (1-2 Meter) neben dem Probanden.
Folgende Fragen sollten alle mit JA beantwortet werden können:
- Bleibt die Wirbelsäule stabil?
- Bleibt der obere Rücken beim Rückschwung gerade?
- Bleiben die Schultern die ganze Zeit unten?
- Werden Po und Bauch sichtbar angespannt?
- Hat der Übende einen Punkt festen Blickpunkt? – oder wandert der Blick auf und ab?
- Bleibt die Kopfhaltung auch bei Rückschwung Neutral? – oder wird der Kopf stark in den Nacken gelegt?
Die Anspannung lässt sich mit einem kurzen Klaps testen – falls der Proband einverstanden ist (vorher fragen!).
Probleme in diesem Bereich sind ein Zeichen, dass es noch zu früh für den Swing ist. Übe stattdessen Kreuzheben und arbeite Dich im Gewicht hoch bis zum eigenen Körpergewicht. Übe in der Plank die Rumpfstabilisierung. Dann kannst Du mit leichtem Gewicht und kurzen Sätzen wieder anfangen den Swing zu üben.
ACHTUNG: Durch dem ballistischen Charakter des Swings, kannst Du praktisch jede Hantel beliebig schwer werden lassen! Lass Dich nicht täuschen, wenn das Gewicht sich für Dich leicht anfühlt, die Kräfte, die auf Deine Wirbelsäule wirken, können trotzdem beachtlich sein – vor allem bei mangelhafter Technik.
Hüfte, Knie und Füße
Hier wird es in der Regel spannend, da nach meiner Erfahrung auch Fortgeschrittene in diesem Bereich häufig Probleme haben. Für die Analyse solltest Du den Trainierenden von vorne sehen können. Aus Sicherheitsgründen halte etwas Abstand und stell Dich leicht seitlich der Schusslinie auf ;-). Schau Dir immer erst den zweihändigen Swing an, bevor Du den einhändigen begutachtest.
Der erste Blick gilt der Rumpfbeuge – wird hier der vollständige Bewegungsraum augsgenutzt oder wird gespart:
- Kommt die Kettlebell beim Rückschwung wirklich ganz hinten an? – Oder wäre noch Platz nach hinten?
- Wir der Körper komplett durchgestreckt und dabei sichtbar angespannt? (Gluteus prüfen!)
Ein grosser Teil möglicher Probleme lassen sich beheben, wenn Du Deine Schützlinge dazu bringen kannst, den Swing über den kompletten Bewegungsraum zu machen. Mache Kettlebeller stehen zu eng, so dass sie beim Rückschwung die Arme einklemmen, bevor sie ganz unten sind. Hier rate ich erst mal einen breiteren Stand auszuprobieren und wenn das nicht hilft zusätzlich die „Hosentaschen weit zu machen“.
Wenn Dir nach diesen Korrekturen immer noch etwas seltsam vorkommt, dann schau Dir Knie und Füße genauer an:
- Bewegen sich die Knie nur minimal nach vorne während der Swings?
- Bleibt der Anstand der Knie während dem ganzen Bewegungsablauf gleich?
- Beugen bzw. strecken beide Knie gleich weit?
- Behält der ganze Fuß den Bodenkontakt?
Wenn es um den Kontakt zu Mutter Erde geht, dann ist weniger erfahrungsgemäß mehr. Schuhe mit dicken Gummi Sohlen sind natürlich generell keine Option – in unserem RKC Handbuch wird ausdrücklich empfohen niemanden zu trainieren, der solche Schuhe trägt. Ich habe in einigen Fällen sogar festgestellt, dass Barfußschuhe (z.B. Vibrams) oder auch normale Socken die Standfestigkeit beeinträchtigen. Das bedeutet nicht, dass man nur Barfuß mit Kettlebells trainieren kann, im Winter oder im Freien wäre das ein echtes Problem, aber im Zweifel runter mit der Fußbekleidung.
Nach der Analyse
Wenn eine Analyse Sinn machen soll, ist es wichtig, dass der Analysierte, so technische Schwächen aufgedeckt wurden, erst mal einen Gang runter schaltet und die veränderte Technik neu einübt. Anderfalls bleibt es raue Theorie, da unser Körper unter Belastung automatisch auf altbekannte Muster zurückschaltet. Das geschieht nicht aus Schlamperei sondern ist die „Voreinstellung“ in unserem Nervensystem.
Mach also nach einer Analyse Session kein hartes Workout zum Abschluss.