Gray Cook’s FMS (Functional Movement Screen) ist fies! Große, kräftige und sportlich aktive Männer bekommen einen verschreckten Gesichtsausdruck, wenn sie ihre FMS Korrekturübungen zum ersten mal ausprobieren. „Kann ich nicht lieber ein paar Swings machen?“ fragen sie dann mit flehendem Gesichtsausdruck… warum ist das so?
Die so genannten korrektiven Übungen im FMS sind für jeden individuell angepasst, um genau das schwächste Glied in seinen oder ihren Bewegungsmustern zu fordern. Die flexible Frau bekommt Liegestütze verschrieben, um ihre Rumpfstabilität zu verbessern, der kräftige Mann Dehnübungen für Hüfte oder Schultern – also genau das, was die oder der jeweilige seit Jahren konsequent vernachlässigt hat. „Liegestützen konnte ich noch nie!“ bekomme ich von den Mädels zu hören und „ich bin total verkürzt!“ von den Herren der Schöpfung. Diese jeweiligen Bereiche werden deswegen so konsequent vernachlässigt, weil wir es als wesentlich beschwerlicher empfinden, Dinge zu tun in denen wir schlecht sind, als das was wir bereits gut können. Wenn wir diese Strategie konsequent folgen, führt das dazu, dass wir immer besser in dem werden, was wir ohnehin schon gut können und im Gegenzug schlechter in den vernachlässigten Bereich. Irgendwann kommen wir an einen Punkt, an dem diese Disbalance so gross wird, dass wir auch in dem, was wir eigentlich gut können, nicht mehr weiter kommen, weil unsere Schwachstellen das verhindern.
Die dem FMS unterliegende, zugrunde liegende Erkenntnis ist, dass jeder, der ernsthaft trainieren möchte, ein ausgewogenens Mindestmaß an Mobilität, Stabilität und anderen grundlegenden Bewegungsmustern haben muss. Wer dies vernachlässigt, zwingt seinen Körper dazu, um seine Schwächen herum zu agieren, was sowohl den Verschleiss als auch das Verletzungsrisiko steigert. Das bedeutet also nicht, dass jemand der leistungsfähig ist sich automatisch gut bewegt. Beispiele wie der Einbeinige, der einen Marathon läuft sollten augenfällig machen, dass unsere Körper evolutionsbedingt unglaublich gut darin sind, vorhanden Schwächen zu kompensieren. Dabei opfert der Körper aber immer die Qualität der Quantität. Im Fall unseres einbeinigen Beispielathleten leuchtet das jedem ein, aber auch bei jedem anderen wirken diese Kompensationsstrategien. Diese entstehen durch ehemalige Verletzungen, schlechte Gewohnheiten (Haltung) oder einseitige Belastungen (Golfspieler und Radfahrer aufgepasst). Leider verfährt unser Körper nach dem Prinzip „Never change a running system“ und behält veränderte Bewegungsmuster bei, auch wenn die Ursache der Anpassung schon wieder weg ist. Wer also aufgrund einer Knieverletzung, eine gut funktionierende Kompensationsstrategie entwickelt hat, bei dem bleibt diese Strategie oft erhalten, auch nachdem die eigentliche Verletzung längst ausgeheilt ist. Ein anderes Beispiel ist der Bildschirmarbeiter – wer täglich viele Stunden vor einem Computer verbringt dessen Bewegungsmuster werden für die dabei eingenommene Haltung optimiert.
Das SAID-Prinzip (Special adaptation to imposed demand) besagt, dass immer das optimiert wird, was wir am meisten tun. Dieses Prinzip gibt uns, wenn wir es bewusst anwenden, die Chance unsere körperliche Leistungsfähigkeit auf ein Niveau zu steigern, das den meisten Menschen „übermenschlich“ erscheint. Wenn wir das SAID-Prinzip aber unkontrolliert wirken lassen, führt das zu ungewollten Nebenwirkungen. Der runde Rücken vieler engagierter Radsportler spricht eine deutliche Sprache.
Wer also langfristig und zur Gesunderhaltung seines Körpers trainieren möchte, sollte sich – besonders zu Anfang – darauf konzentrieren seine Schwächen auszugleichen statt seine Stärken zu fördern.
Ich selbst bin hier das beste Beispiel, obwohl ich bereits vor mehreren Jahren, als Robert Rimoczi mich mit FMS analysiert hat, herausgefunden habe, dass meine Schultern zu wenig Mobilität aufweisen, habe ich dies immer ignoriert. In meinen Augen war Schultermobilität nicht so wichtig – solange sie mich nicht behindert, dachte ich, ist alles in Ordnung. Ich bin von Haus aus recht robust, so dass Verletzungsprävention für mich nicht die höchste Priorität hatte.
Erst als ich begann den Handstand zu üben, traf ich auf mein Plateau. In den Handstand zukommen war nicht das Problem, aber sobald ich oben war, fing ich an wieder zu kippen. Nach langem Üben und einigem Überlegen und ein paar selbstgedrehten Videos kam ich dann auf die Lösung: Meine Schultern (besonders die linke) erlaubten mir einfach nicht die Arme senkrecht unter dem Körper zu plazieren. Kaum hatte ich meine Schultern etwas gelockert ging es deutlich besser.
Genau genommen war das nicht das erste Mal, dass mir meine Schulternmobilität im Weg war, nur habe ich davor nie verstanden woran es liegt. Als ich Kenneth Jay’s Programm „Perfecting the Press“ ausprobiert habe – das Programm erfordert massenweise Presse ist mit verschiedenen schweren Kettlebells mehrmals die Woche – bekam ich Probleme in der linken Schulter …tata.
Egal ob Du ein alter Hase bist, der schon immer trainiert oder gerade erst damit beginnen möchtest, Dich in Form zu bringen, lerne aus meinen Fehlern und sorge dafür, dass Du ein ausgewogenes Fundament für den Training hast. Die einfachste Möglichkeit ist es, Dich von einem FMS Instruktor screenen zu lassen, er kann in 15 Min feststellen, wie es um deine Grundbewegungsmuster steht und dir Tipps geben, an was du gegebenenfalls arbeiten musst. Wenn du dazu keine Möglichkeit hast, bietet der Turkish Get Up dir eine Alternative. Wenn du diese Übungen auf beiden Seiten gleich ausführen kannst (natürlich mit einer für deine Größe angemessenen Kettlebell), kannst Du dir relativ sicher sein, dass zumindest keine größeren Probleme auf dich lauern.
Ich weiß, ich weiß – Du bereitest dich gerade auf deinen nächsten PR vor und hat deswegen keine Zeit dich jetzt um so etwas zu kümmern. Ging mir auch nicht anders. Aber glaub mir, es lohnt sich trotzdem.