Umgang mit chronischen Verletzungen im Sport – ein Erfahrungsbericht

Fast jeder Sportler, der nicht mehr in der Jugend-Liga spielt und sein Training ernst nimmt kennt sie: Diese lästigen kleinen Zipperlein, die irgendwie immer wieder kommen und sich partout jeglicher Behandlung widersetzen. Oft sind sie eher lästige Kleinigkeiten, die nerven, mit denen man aber klar kommen kann. Aktuell ist es bei mir gerade ein recht verletzungsanfälliges  Handgelenk und ein lästiger sogenannter Golfer-Ellenbogen (natürlich am anderen Arm). Solche Unannehmlichkeiten begleiten mich praktisch seit ich regelmäßig seit ich trainiere und natürlich sehe ich sie auch immer wieder bei Schülern und Trainingspartnern.

Solange eine solche chronische Verletzung im Status des lästigen Ärgernisses bleibt, ist es doof, aber auch nicht weiter schlimm. Meine Strategie für diese Fälle ist normalerweise sie zu ignorieren, und mich ab und an darüber zu ärgern – diese Strategie hat bei mir NOCH NIE FUNKTIONIERT, und wird es vermutlich auch in Zukunft nicht tun. Keine Ahnung wie alt ich noch werden muss bis es mir gelingt mein Verhalten diesbezüglich zu ändern. Mein Glück ist, das ich diese Strategie nicht wie andere bis zum bitteren Ende verfolge, sondern in der Regel rechtzeitig umschwenke bevor bleibender Schaden entsteht.

Sind die Beschwerden erst ein mal intensiv oder lästig genug das es sich  nicht länger ignorieren lässt muss eine Lösung her –  und meistens geht man dafür zum Arzt. Diese „Kurzschlusshandlung“ hat mich schon so manchen Schüler gekostet, und das finde ich jedes mal wirklich tragisch. Es trifft nämlich nicht diejenigen, die kurz vorbeischneien, sich ein paar mal blicken lassen und dann in der Versenkung verschwinden – für chronischen Verletzungen muss man sich nämlich richtig ins Zeug legen. Die bekommen nur die Motivierten, die Fleisigen, die, die sich entwickeln wollen – also die um die es wirklich schade ist!

Seit ich mein Studio leite habe ich einige solche tragischen Fälle beobachten müssen aber ich habe auch einige (mich selbst eingeschlossen) erlebt die es geschafft haben solche Handicaps zu überwinden. Aus diesen Beobachtungen habe ich einige Schlüsse gezogen, die ich heute mit Euch teilen will. ACHTUNG: es handelt sich dabei weder um die Ergebnisse klinischer Studien, noch um ärztlichen Rat.

Meine Theorie zur Entstehung chronischer Verletzungen

Chronische Verletzungen sind Überlastungs-Verletzungen, die sich über einen längeren Zeitraum aufbauen. Für den betroffen treten sie darum  häufig spontan und ohne erkennbare Ursache auf. Sind die erst mal da, reicht meist eine minimale Be-/Überlastung des entsprechenden Bereiches um die Verletzung wieder aufflammen zu lassen. Wenn man sich die betroffenen Bewegungsmuster genau anschaut, dann ist in aller Regel eine asymmetrische Komponente mit im Spiel. Damit will ich sagen, dass die gleiche Bewegung auf der anderen Körperhälfte anders abläuft als auf der betroffenen Seite. Es ist dabei nicht gesagt, das der Ort an dem die Schmerzen auftreten, der gleiche ist, der die Verletzung verursacht. Wie oben schon erwähnt ist eine solche Verletzung nichts was man einfach hinterher geschmissen bekommt – dafür musst Du echt arbeiten.
Also Doch? „Sport ist Mord?!?“ – lieber spazieren gehen und ja keine schweren Sachen anfassen oder ruckartige Bewegungen machen?
Meiner Meinung nach dient uns der Sport als Früherkennung. Solange wir (relativ) jung sind, sind die Selbstheilungskräfte des Körpers sehr stark. Überlastungen werden so schnell kompensiert, das es sie bei Sportlern unter 25 chronische Beschwerden eigentlich nur bei den aller ambitioniertesten gibt. Nach dem unser Körper aber das erste Viertel-Jahrhundert Reifezeit hinter sich hat, beginnt die Regenerationsfähigkeit langsam das Rennen gegen die täglichen Belastungen zu verlieren. Bei einem Sportler, der regelmäßig an seine Grenzen geht, ist das natürlich früher der Fall, als bei jemandem der seinen Körper nur braucht um den Kopf täglich zur Arbeit zu tragen.
Aber genau hierin liegt die Chance für uns Sportler: Wir werden wesentlich früher auf unsere Schwachstellen aufmerksam und können lernen damit umzugehen. Allein in Deutschland werden jährlich 25000 künstliche Hüftgelenke verbaut. Belastbare zahlen zur Alters-Demografie habe ich leider keine gefunden, aber meisten Patienten sind wohl zwischen 50 und 75 Jahren.

Eine kleine Geschichte meiner Hüfte

Meine Hüfte ist gleichzeitig meine Stärke und meine Schwäche. Schon als Baby, so haben mir meine Eltern erzählt, wurde bei mir eine Hüftdysplasie diagnostiziert und ich musste zur Korrektur die damals übliche Spreizhose tragen. In meiner Kindheit und Jugend geriet dieses Kapitel dann fast in Vergessenheit, da in dieser Zeit keinerlei Symptome auftraten. Sportlich war ich bis ins frühe Erwachsenen Alter weder sehr aktiv noch völlig inaktiv – einfach Durchschnitt. Als ich dann mit Anfang 20 das Tae Kwon Do Training intensiver aufnahm, erkannte mein Trainer recht schnell meine „freie“ Hüfte. Ich konnte in kurzer Zeit ziemlich hoch kicken ohne groß dafür arbeiten zu müssen. Was die statische Beweglichkeit anging, ging es nicht so leicht – was ich aber mehr

Mit dem Single leg Deadlift bekam ich oft Hüftprobleme

auf meinen fehlenden diesbezüglichen Einsatz schiebe als auf meine Physiologie. Als ich dann nach einigen Jahren Tae Kwon Do Training meinen Ehrgeiz darauf richtete endlich senkrecht kicken zu können, begann ein wahrer Eiertanz, bei dem ich die Möglichkeiten meines Hüftgelenks kennen lernen durfte. Der Zyklus lief etwa so: 2-3 Wochen mit guten Fortschritten dehnen (ca 15-20 cm zum Boden). Ab Woche 3 begann ein leichtes Gefühl der Instabilität in der linken Hüfte – das ich nach bewährtem Rezept ignorierte und weiter dehnte! Irgendwo zwischen Woche 4 und 6 war ich dann fast im Spagat (5 cm Bodenabstand) und mein linkes Hüftgelenk war so lose, das ich beim aussteigen aus dem Auto darauf achten musste das es nicht aus dem Gelenk springt (ist zum glück nie passiert, war aber ziemlich knapp). An diesem Punkt setzte dann in regelmäßig mein Selbsterhaltungstrieb wieder ein und ich pausierte meine Bemühungen bis die Hüfte wieder stabil war. Erst Anfang 30 nach etwa 4 Jahren und ich-weiß-nicht-wie-vielen solchen Zyklen und vielen Ratschlägen von erfahrenen Trainings-Kameraden fand ich mich damit ab, das es mit meiner Hüfte wohl nicht möglich ist den Voll-Spagat zu erlernen.
Bevor ich den Rest der Geschichte erzähle, noch ein paar kurze was-wäre-wenn-Spielchen:

  • Hätte mein Selbsterhaltungstrieb mich nicht regelmäßig davor bewahrt zu weit zu gehen, hätte ich meine Linke Hüfte ziemlich sicher schon in den späten 20ern zerstört.
  • Hätte ich nicht irgendwann eingesehen das ich auf diesem Weg wohl noch nie zum Ziel komme – würde ich ziemlich sicher heute meinen Beruf als Tae Kwon Do Trainer nicht ausüben.

Lange dachte ich – meine Hüfte kann das nicht…

Nachdem Selbsterhaltungstrieb, Faulheit, gute Ratschläge oder der simple  Umstand das unser Großmeister nichts von Wettkämpfen hält mich vor grösserem Schaden bewarten, trainierte ich noch einige Jahre weiter, machte meinen Schwarzgurt, eröffnete meine Schule und lernte irgendwo auf dem ein altes russisches Trainingsgerät kennen –  die Kettlebell. Zunächst gab die Kettlebell meinem Training einen gehörigen Schub, ich wurde stärker, schneller und auch beweglicher – wenn auch nicht in der Hüfte. Im Zuge meiner RKC-Vorbereitung traten dann wieder Hüftprobleme auf – diesmal wurde nicht die Hüfte locker, sondern das Iliosakralgelenk (ISG) „verklemmte“ sich regelmäßig nach intensiven Swing oder Snatch Sessions. Diese Beschwerden waren nicht dramatisch, aber doch ziemlich lästig – denn ich musste jedes mal für ein paar Tage langsam machen damit sich alles wieder beruhigen konnte. Woher das Problem kam, fand ich damals noch nicht heraus – aber zumindest fand ich ein paar Dehnungsübungen die es mir Erleichterung verschafften. Heute glaube ich zu wissen, das meine Probleme beim Swing aus einer Schutzreaktion auf mein falsches Dehnen resultierten – dadurch war nämlich die Stabilisierungs-Muskulatur der links ständig so verhärtet, dass die intensiven Hüftstreckungen bei Swing und Co. eher mein ISG aufbogen als die Hüfte vollständig zu öffnen. Da ballistische Kettlebell Übungen naturgemäß sehr schnell ablaufen, konnte ich diesem Zusammenhang aber damals noch nicht erkennen.

Wieder einige Jahre später entdeckte ich die Langhantel als Ergänzung für mein Training, vor allem das Kreuzheben übt seit dem eine ziemliche Faszination auf mich aus – auch wenn ich nach wie vor ziemlich schlecht darin bin. Das Kreuzheben, stellte sich heraus, ist für meine Hüfte Swing x 10. Sobald ich die grundlegende Technik gemeistert hatte und begann das Gewicht zu steigern, fingen die Probleme an. Das Gewicht mit dem ich damals arbeitete war nur knapp über dem eigenen Körpergewicht – in KdK Dimensionen also Anfängerniveau –  und doch  traten nach fast jeder Session die Symptome auf die ich schon von der Kettlebell her kannte. Über einen Zeitraum von etwa 2,5 Jahren experimentierten, ignorierte, fluchte und trainierte und hinkte ich bis irgendwann eine weitere Komponente meines Trainings einen neuen Auftritt hatte: Die Beweglichkeit der Hüfte. Im zarten Alter von 39 Jahren bemerkte ich, das meine Hüfte mittlerweile nicht mehr so beleidigt auf Dehnung reagierte wie in meinen Zwanzigern. Ohne konkrete Absicht, testete ich, wie weit ich es denn treiben könne und saß ziemlich pünktlich zu meinem 40-sten Geburtstag zum ersten mal in meinem Leben im Spagat. Das dadurch erworbene neue Gefühl für die Mechanik meiner Hüfte und die Erfahrungen aus dem Kreuzheben zusammen genommen brachten mich endlich auf den oben schon beschriebenen Zusammenhang, und meine Beschwerden sind heute zwar nicht völlig verschwunden, aber doch so sicher unter Kontrolle, das ich swingen, Kreuzheben und grätschen kann ohne dabei Probleme zu bekommen. Zu meinem selbst gesteckten Ziel mein 2-faches Körpergewicht aufzuheben fehlen mir zwar immer noch so 30 kg – aber ich habe ja noch Zeit.

Ein Wort zu Ratschlägen

Natürlich habe ich während meiner langen Odyssee viele Leute – Ärzte wie Trainer – um Rat gefragt. Oft habe ich wertvolle Hinweise bekommen – manchmal aus den unwahrscheinlichsten Quellen. Teils musste ich feststellen das selbst die hochkarätigsten Spezialisten keine befriedigenden Antworten hatten. Manchmal ergab eine Information erst nach langer Zeit den entschiedenen Impuls wenn weitere Informationen dazu kommen. Ich würde jede Frage wieder stellen, und vielleicht lieber noch mehr. Nur bei einer Sache bin ich in all der Zeit konsequent geblieben: wann immer mir einer sagt ich soll doch einfach lassen was ich vorhabe war das Gespräch für mich vorbei.

Was ich daraus schließe

Nun habe ich Dich lieber Leser lange genug mit meiner Geschichte gelangweilt. Jetzt will ich Dir auch noch sagen was ich daraus für den Umgang mit chronischen Verletzungs-Zuständen ableite.
Ich könnte noch weitere Beispiele bringen, von erfolgreichen und weniger erfolgreichen.  Aber keine Angst – ich komme gleich zur Sache!

5 Tipps für den Umgang mit chronischen Verletzungszuständen:

  • Wenn ignorieren bei ersten mal nicht funktioniert hat, tut es das auch in Zukunft nicht! (hier bin ich noch nicht gaaanz sicher 😉
  • Jede chronische Verletzung hat eine Ursache – finde sie!
  • Die Ursache ist eine Gewohnheit – und die musst Du ändern!
  • Nimm Dir Zeit – gib nicht auf! – Du hast lange gebraucht Dich kaputt zu machen, erwarte nicht das sich plötzlich alles auflöst.
  • Lass Dir von niemandem sagen was Du nicht kannst!

Zum Abschuß noch ein Zitat von Senecca:

„Man gehe gegen den Schmerz an, denn man wird besiegt wenn man weicht.“

In diesem Sinne, frohes Suchen!

Dein Flo.

About Florian

Als einer der ersten RKC Kettlebell Instruktoren in Deutschland ist Florian ständig dabei seine Fertigkeiten im Umgang mit der Kettlebell und sein Wissen zu erweitern. Im vorliegenden Blog berichtet er sein seit 2012 von seinen Erfahrungen und gibt Tipps für den Umgang mit der Eisenkugel, fürs eigene Training und vieles mehr.
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One Response to Umgang mit chronischen Verletzungen im Sport – ein Erfahrungsbericht

  1. Hi Florian,
    sehr schöner Artike! Es ist gut zu sehen, das anderen auch nicht immer alles zufliegt und Geduld und Beharrlichkeit gepaart mit Vernunft und Nachdenken wichtig für langfristigen Erfolg sind.

    Danke.

    Dein Frank

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